Verhandlungen – das klingt nach Anzügen, dicken Aktenordnern und schweißtreibenden Gesprächen in Bürotürmen. Wir denken an Manager, die über Millionenverträge feilschen, oder an den alljährlichen Kampf um die Gehaltserhöhung. Doch die Realität ist eine andere: Verhandeln ist eine zutiefst menschliche und alltägliche Fähigkeit, die wir ständig anwenden, oft ohne es zu merken. Ob es darum geht, wer heute den Müll rausbringt, ob der Handwerker einen besseren Preis macht, oder wie man eine Meinungsverschiedenheit mit dem Partner löst – das Prinzip bleibt dasselbe. Es geht nicht darum, den anderen zu besiegen, sondern darum, ein Ergebnis zu erzielen, das für alle akzeptabel ist. Wer diese Kunst beherrscht, kann sein Leben maßgeblich verbessern – beruflich wie privat. Dieser Artikel beleuchtet die Grundlagen der Verhandlung, zeigt, welche psychologischen Mechanismen wirken und gibt praktische Tipps für den Alltag.
Der größte Irrtum beim Verhandeln ist der Glaube, es sei ein Nullsummenspiel. Man verliert, der andere gewinnt – oder umgekehrt. Tatsächlich geht es beim erfolgreichen Verhandeln um eine Win-Win-Lösung, bei der beide Seiten einen Mehrwert erhalten. Um das zu erreichen, sind drei Grundlagen unerlässlich.
1. Die Vorbereitung: Ihr Fundament der Macht Jede erfolgreiche Verhandlung beginnt lange vor dem eigentlichen Gespräch. Sie müssen Ihre Ziele, Ihre Schmerzgrenze und Ihre beste Alternative kennen.
Ihr Ziel: Was wollen Sie erreichen? Definieren Sie Ihr Idealziel, aber auch Ihr realistisches Ziel.
Ihre Batna: Die „Best Alternative to a Negotiated Agreement“. Was ist Ihr Plan B, falls die Verhandlung scheitert? Wenn Sie wissen, dass Sie eine gute Alternative haben (z.B. einen anderen Job), verhandeln Sie selbstbewusster. Ihre Batna ist Ihre wahre Stärke.
Die andere Seite verstehen: Was sind die Ziele, Bedürfnisse und Einschränkungen Ihres Gegenübers? Je besser Sie die andere Seite verstehen, desto einfacher finden Sie eine kreative Lösung. Es geht nicht darum, den anderen zu überlisten, sondern seine Perspektive einzunehmen.
2. Aktives Zuhören: Verhandeln mit den Ohren Wer zu viel redet, verrät zu viel. Wer nicht zuhört, verpasst die wichtigsten Informationen. Aktives Zuhören bedeutet, nicht nur die Worte des anderen zu hören, sondern auch die Emotionen, die unausgesprochenen Wünsche und die verborgenen Botschaften. Fragen Sie nach, fassen Sie zusammen, was Sie verstanden haben, und zeigen Sie echtes Interesse. Das schafft Vertrauen und gibt Ihnen wertvolle Einblicke, um die Verhandlung in die richtige Richtung zu lenken.
3. Empathie: Der Schlüssel zur Beziehung Verhandlungen sind emotionale Interaktionen. Zeigen Sie Empathie und Respekt für die Position des anderen. Wenn Sie verstehen, warum der Handwerker seinen Preis nicht weiter senken kann (z.B. hohe Materialkosten), können Sie eine Alternative anbieten (z.B. einen Rabatt auf die nächste Dienstleistung). Empathie wandelt eine konfrontative Situation in ein kooperatives Miteinander um.
Erfolgreiche Verhandler nutzen nicht nur Logik, sondern auch grundlegende psychologische Prinzipien.
1. Der Anker-Effekt: Der erste Preis, der in den Raum gestellt wird, hat einen immensen Einfluss auf das Ergebnis. Er dient als „Anker“, um den sich alle nachfolgenden Angebote drehen. Wenn Sie also etwas kaufen wollen, setzen Sie einen niedrigen Anker. Wenn Sie etwas verkaufen wollen, setzen Sie einen hohen Anker. Beispiel: Bei der Gehaltsverhandlung nennen Sie als Erster eine hohe Zahl – die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die endgültige Summe näher an diesem Wert liegen wird, als ursprünglich geplant.
2. Das Prinzip der Reziprozität: Menschen fühlen sich verpflichtet, eine Gefälligkeit zu erwidern. Wenn Sie in einer Verhandlung ein kleines Zugeständnis machen (z.B. anbieten, auf einen kleinen Vorteil zu verzichten), steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die andere Seite Ihnen entgegenkommt.
3. Framing und die Macht der Sprache: Wie Sie Ihre Argumente formulieren, entscheidet über den Erfolg. Statt zu sagen „Ich will 100 Euro mehr“, könnten Sie fragen: „Was können wir tun, damit ich meine Produktivität um 10 % steigern kann?“ oder „Wenn ich diese Verantwortung übernehme, wie wird sich das finanziell widerspiegeln?“ Sie fokussieren sich auf den Mehrwert, den Sie bieten, statt auf Ihre persönliche Forderung.
Die erlernte Theorie wird erst in der Praxis wertvoll. Hier sind einige typische Alltagssituationen, in denen Sie Ihre Verhandlungskünste trainieren können.
1. In der Familie und in Beziehungen: Verhandlungen im Privatleben sind oft die schwierigsten, weil Emotionen eine so große Rolle spielen. Statt zu streiten, nutzen Sie die erlernten Techniken.
Aufgabenverteilung: Wer macht was im Haushalt? Statt eines Befehls ("Du musst den Müll rausbringen!") fragen Sie nach den Bedürfnissen des Partners ("Du siehst müde aus. Wäre es dir lieber, wenn ich morgen den Müll übernehme, wenn du heute das Geschirr machst?"). Sie bieten eine Alternative und schaffen eine Win-Win-Situation.
Urlaubsplanung: Der eine will in die Berge, der andere ans Meer. Statt einem Kompromiss (ein Tag Meer, ein Tag Berge), suchen Sie eine kreative Lösung, die die zugrundeliegenden Bedürfnisse erfüllt. Vielleicht will der eine einfach nur Ruhe, der andere Abenteuer. Gibt es einen Ort, der beides bietet?
2. Bei täglichen Transaktionen: Viele Menschen scheuen sich davor, im Alltag zu verhandeln. Doch es lohnt sich!
Flohmarkt oder Kleinanzeigen: Hier wird verhandeln erwartet. Machen Sie ein freundliches Angebot, das unter dem Preis liegt. Wenn der Verkäufer zögert, fragen Sie nach den Gründen. Bieten Sie eine Abholung noch am selben Tag an – das ist ein Zugeständnis, das Ihnen einen besseren Preis verschafft.
Telefon- oder Internetverträge: Rufen Sie Ihren Anbieter an, wenn Ihr Vertrag ausläuft. Recherchieren Sie vorher die Preise der Konkurrenz. Sagen Sie: "Ich würde gerne bei Ihnen bleiben, aber die Konkurrenz bietet mir x für y Euro an. Gibt es eine Möglichkeit, dass Sie mir ein ähnliches Angebot machen?" Oftmals bieten Unternehmen Bestandskunden Rabatte oder Zusatzleistungen an, um sie nicht zu verlieren.
3. Im Beruf, jenseits der Gehaltsverhandlung: Die Verhandlung über das Gehalt ist nur ein kleiner Teil. Verhandeln Sie auch:
Arbeitszeitmodelle: Sie möchten öfter im Home-Office arbeiten? Argumentieren Sie mit der gesteigerten Produktivität und der Reduzierung von Pendelzeiten, nicht nur mit Ihrem Wunsch nach mehr Flexibilität.
Projektausstattung: Sie brauchen ein neues Software-Tool oder einen zweiten Monitor? Zeigen Sie, welchen Mehrwert es dem Unternehmen bringt, statt nur Ihren persönlichen Bedarf in den Vordergrund zu stellen.
Auch die erfahrensten Verhandler machen Fehler. Die Kunst liegt darin, sie zu erkennen und zu korrigieren.
1. Mangelnde Vorbereitung: Ohne zu wissen, was man will und was die andere Seite will, ist man aufgeschmissen. Die Verhandlung wird zu einem ziellosen Gespräch.
2. Emotionale Reaktion: Wut, Frustration oder Enttäuschung sind die größten Feinde einer sachlichen Verhandlung. Nehmen Sie sich eine Minute Zeit, um durchzuatmen, bevor Sie reagieren.
3. Die Gier: Wenn man nur das eigene Ziel im Kopf hat und keine Kompromisse eingehen will, scheitert man fast immer. Ein gutes Ergebnis lässt beide Seiten das Gefühl haben, gewonnen zu haben.
4. Das Reden ohne Pause: In einer Verhandlung ist Schweigen eine mächtige Waffe. Nach dem Stellen einer Forderung ist es oft klüger, einfach zu schweigen. Die andere Seite fühlt sich gedrängt, die Stille zu füllen – oft mit einem Zugeständnis.
Richtig verhandeln ist keine Gabe, sondern eine erlernbare Fähigkeit. Es erfordert Übung, Vorbereitung und ein Verständnis für die menschliche Psychologie. Wenn Sie das Verhandeln nicht mehr als Kampf, sondern als Suche nach einer gemeinsamen Lösung sehen, werden sich Ihnen neue Türen öffnen. Beginnen Sie klein – verhandeln Sie beim nächsten Einkauf auf dem Wochenmarkt um den Preis für das Obst, schlagen Sie Ihrem Partner eine neue Lösung für ein Alltagsproblem vor oder bitten Sie Ihren Chef um eine kleine Investition, die Ihre Produktivität steigert. Jeder kleine Erfolg stärkt Ihr Selbstvertrauen. Die Fähigkeit zu verhandeln ist ein Werkzeug für mehr Selbstbestimmung und Zufriedenheit im Leben. Nutzen Sie es.