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Die Bedeutung des Arbeitszeugnisses: Was verbirgt sich hinter den Formulierungen


In der deutschen Arbeitswelt ist das Arbeitszeugnis weit mehr als nur ein Stück Papier, das die Dauer einer Beschäftigung bestätigt. Es ist eine der wichtigsten Unterlagen in jeder Bewerbung und dient Personalverantwortlichen als entscheidendes Instrument zur Einschätzung potenzieller Mitarbeiter. Doch seine scheinbare Unschuld ist trügerisch. Seit Jahrzehnten hat sich eine geheime Sprache entwickelt, ein fein abgestimmter Code, der es Arbeitgebern ermöglicht, ihre wahren Eindrücke zu übermitteln, ohne gegen den Grundsatz des Wohlwollens zu verstoßen. Ein gut gemeintes, aber oberflächlich formuliertes Zeugnis kann in der Bewerbung genauso schädlich sein wie ein offenkundig schlechtes. Dieser Artikel entschlüsselt die verborgene Bedeutung hinter den Standardformulierungen und beleuchtet, warum das Verständnis dieses Codes für Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen unerlässlich ist.

I. Das Arbeitszeugnis: Eine rechtliche und konzeptionelle Grundlage

Das Recht auf ein Arbeitszeugnis ist in Deutschland gesetzlich verankert, insbesondere in § 109 der Gewerbeordnung (GewO) und § 630 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Demnach hat jeder Arbeitnehmer bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses Anspruch auf ein schriftliches Zeugnis. Es werden zwei Arten unterschieden:

  • Das einfache Zeugnis: Dieses enthält nur Angaben über die Art und Dauer der Beschäftigung. Es wird oft bei kurzfristigen oder einfachen Tätigkeiten ausgestellt und ist für Arbeitnehmer, die ihre Qualifikationen belegen müssen, wenig aussagekräftig.

  • Das qualifizierte Zeugnis: Dies ist die gebräuchlichere Form und enthält zusätzlich zur Tätigkeitsbeschreibung auch eine Bewertung der Leistung und des Verhaltens des Mitarbeiters. Arbeitnehmer haben grundsätzlich das Recht, ein qualifiziertes Zeugnis zu verlangen.

Der Kernkonflikt, der zur Entstehung des Zeugniscodes führte, liegt in den zwei grundlegenden Prinzipien, die das Zeugnis regieren:

  1. Grundsatz der Wahrheit: Das Zeugnis muss den Tatsachen entsprechen und ein wahrheitsgetreues Bild des Arbeitnehmers zeichnen.

  2. Grundsatz des Wohlwollens: Das Zeugnis darf das weitere berufliche Fortkommen des Arbeitnehmers nicht unnötig erschweren.

Diese beiden Prinzipien stehen oft im Widerspruch zueinander. Ein Arbeitgeber kann einen Mitarbeiter, mit dem er unzufrieden war, nicht offen kritisieren, da dies seine Berufschancen schmälern würde. Stattdessen nutzt er eine euphemistische oder abwertende Formulierung, die für den Laien positiv klingt, von Personalprofis jedoch als negatives Signal verstanden wird.

II. Der Aufbau eines qualifizierten Arbeitszeugnisses

Ein qualifiziertes Arbeitszeugnis folgt einer strengen, standardisierten Struktur, die es dem Zeugnisempfänger ermöglicht, schnell die relevanten Informationen zu finden. Jede Abweichung von dieser Struktur kann als negatives Signal gedeutet werden.

  1. Die Überschrift: Hier wird der Titel klar benannt, z.B. „Arbeitszeugnis“ oder „Zwischenzeugnis“.

  2. Die Einleitung: Sie enthält die persönlichen Daten des Arbeitnehmers, die Dauer der Beschäftigung und die Position, die er innehatte.

  3. Die Tätigkeitsbeschreibung: Eine detaillierte Aufzählung der Aufgaben und Verantwortlichkeiten. Aus der Ausführlichkeit dieser Beschreibung kann man oft Rückschlüsse auf die Wertigkeit der Position ziehen.

  4. Die Leistungsbeurteilung: Dies ist der wichtigste und komplexeste Teil. Hier wird die Arbeitsleistung bewertet, oft unter Verwendung von Schlüsselbegriffen und Steigerungsformen. Hier finden sich die meisten „versteckten Botschaften“.

  5. Die Verhaltensbeurteilung: Dieser Abschnitt bewertet das Sozialverhalten gegenüber Vorgesetzten, Kollegen und Kunden.

  6. Der Beendigungsgrund: Der Grund für das Ausscheiden aus dem Unternehmen wird genannt. Hier ist es wichtig, die richtige Formulierung zu wählen (z.B. „auf eigenen Wunsch“ bei Kündigung durch den Arbeitnehmer, „aus betriebsbedingten Gründen“ bei Kündigung durch den Arbeitgeber).

  7. Die Schlussformel: Der Arbeitgeber bedankt sich für die geleistete Arbeit, drückt sein Bedauern über das Ausscheiden aus und wünscht dem Mitarbeiter für die Zukunft alles Gute. Das Fehlen oder die Abwandlung dieser Formulierungen ist ein starkes negatives Signal.

  8. Ort, Datum und Unterschrift: Das Zeugnis muss vom Arbeitgeber oder einem autorisierten Vertreter unterschrieben werden.

III. Der Zeugniscode: Was hinter den Formulierungen steckt

Der Zeugniscode ist ein informelles Notensystem, das sich über Jahrzehnte etabliert hat. Die Leistungsbeurteilung wird meist mit einer Standardformulierung vorgenommen, die durch Adverbien wie „stets“, „jederzeit“ und „vollsten“ gesteigert oder abgeschwächt wird.

Die Leistungsbeurteilung (Schulnoten-Prinzip)

  • Note 1: „sehr gut“ (hervorragende Leistung)

    • Formulierung: „Er/Sie erledigte die ihm/ihr übertragenen Aufgaben stets zu unserer vollsten Zufriedenheit.“

    • Bedeutung: Absolute Top-Leistung. Die beste Formulierung, die man bekommen kann. Die Kombination aus „stets“ (immer) und „vollsten“ (Superlativ von voll) signalisiert herausragende und kontinuierliche Leistung.

  • Note 2: „gut“ (überdurchschnittliche Leistung)

    • Formulierung: „Er/Sie erledigte die ihm/ihr übertragenen Aufgaben stets zu unserer vollen Zufriedenheit.“

    • Bedeutung: Eine sehr gute Leistung, die nur knapp unter der Bestnote liegt. Hier fehlt das „vollsten“ und wird durch „vollen“ ersetzt.

  • Note 3: „befriedigend“ (durchschnittliche Leistung)

    • Formulierung: „Er/Sie erledigte die ihm/ihr übertragenen Aufgaben zu unserer vollen Zufriedenheit.“

    • Bedeutung: Solide, durchschnittliche Leistung. Das Fehlen von „stets“ oder „jederzeit“ bedeutet, dass die Leistung nicht immer konstant gut war.

  • Note 4: „ausreichend“ (ausbaufähige Leistung)

    • Formulierung: „Er/Sie erledigte die ihm/ihr übertragenen Aufgaben zu unserer Zufriedenheit.“

    • Bedeutung: Gerade noch akzeptabel. Das Fehlen von „voller“ oder „vollster“ deutet auf eine schwache, gerade ausreichende Leistung hin.

  • Note 5: „mangelhaft“ (schwache Leistung)

    • Formulierung: „Er/Sie erledigte die ihm/ihr übertragenen Aufgaben im Großen und Ganzen zu unserer Zufriedenheit.“

    • Bedeutung: Ein klares negatives Signal. Die Leistung war nur insgesamt betrachtet, aber nicht durchgehend zufriedenstellend.

Der verborgene Code in anderen Bereichen

Auch außerhalb der Leistungsbeurteilung gibt es wichtige Nuancen, auf die man achten sollte:

  • Verhaltensbeurteilung: Die Reihenfolge, in der Vorgesetzte, Kollegen und Kunden genannt werden, ist entscheidend. Die korrekte Reihenfolge ist „Vorgesetzten, Kollegen und Kunden“. Eine Abweichung, wie z.B. „gegenüber Kollegen und Vorgesetzten“, kann bedeuten, dass der Arbeitnehmer Probleme mit seinen Vorgesetzten hatte. Das Auslassen einer Personengruppe deutet auf ein schlechtes Verhältnis zu dieser Gruppe hin.

  • Der Schlussatz:

    • Positive Schlussformel: „Wir bedanken uns für die stets sehr gute Zusammenarbeit und wünschen ihm/ihr für die Zukunft beruflich wie privat alles Gute.“

    • Neutrale oder negative Schlussformel: Das Weglassen des Dankes, des Bedauerns über das Ausscheiden oder der guten Wünsche ist ein starkes Warnsignal.

      • Beispiel: „Wir bedanken uns für die Zusammenarbeit.“ (Das Weglassen der Wünsche deutet auf eine Distanzierung hin.)

  • Tätigkeitsbeschreibung: Die Beschreibung ist oft schablonenhaft. Wenn eine wichtige Verantwortlichkeit ausgelassen wird, kann dies bedeuten, dass die Leistung in diesem Bereich unzureichend war.

  • Passiv-Formulierungen: Sätze wie „Er/Sie war stets bemüht…“ oder „Er/Sie war stets motiviert…“ klingen auf den ersten Blick positiv, bedeuten aber, dass der Erfolg ausblieb.

IV. Praktische Anwendung und Fallbeispiele

Um die Bedeutung der Formulierungen zu veranschaulichen, hier zwei Beispiele, die den feinen Unterschied zeigen:

Fallbeispiel 1: Der Unterschied zwischen „stets“ und „immer“

  • A: „Herr/Frau Mustermann war stets bemüht, die gestellten Aufgaben zu unserer vollsten Zufriedenheit zu erledigen.“

  • B: „Herr/Frau Mustermann hat die gestellten Aufgaben stets zu unserer vollsten Zufriedenheit erledigt.“

  • Analyse: Formulierung A ist ein klares negatives Signal. Das Wort „bemüht“ bedeutet, dass der Mitarbeiter zwar motiviert war, die Leistung jedoch nicht erbracht hat. Formulierung B ist eine Top-Bewertung.

Fallbeispiel 2: Fehlender Dank

  • A: „Wir bedauern sehr, dass Herr Mustermann uns verlässt, bedanken uns für die stets gute Zusammenarbeit und wünschen ihm für die Zukunft alles Gute.“

  • B: „Wir bedanken uns für die Zusammenarbeit und wünschen ihm für die Zukunft alles Gute.“

  • Analyse: Formulierung A drückt echtes Bedauern aus und bekräftigt die positive Bewertung. In Formulierung B fehlt das Bedauern über das Ausscheiden, was ein klarer Hinweis darauf ist, dass der Arbeitgeber mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zufrieden ist.


Das Arbeitszeugnis ist ein komplexes Dokument, dessen subtiler Code das wahre Bild einer beruflichen Beziehung widerspiegelt. Für Arbeitnehmer ist es entscheidend, diesen Code zu kennen, um die eigenen Chancen im Bewerbungsprozess richtig einschätzen zu können und gegebenenfalls auf Korrektur zu bestehen. Arbeitgeber wiederum müssen die Formulierungen präzise und wahrheitsgetreu anwenden, um nicht nur rechtlichen Standards zu genügen, sondern auch Vertrauen und Fairness im Personalwesen zu wahren. Die scheinbar einfache Sprache des Arbeitszeugnisses ist in Wirklichkeit ein hochentwickeltes Kommunikationsmittel, dessen Beherrschung in der heutigen Arbeitswelt unerlässlich ist. Das Verständnis dieses Codes ist der Schlüssel, um die wahre Botschaft zu entschlüsseln und die eigenen beruflichen Wege erfolgreich zu gestalten.