Ein Arbeitsunfall kann jeden treffen. Ob es sich um einen Sturz auf der Treppe, eine Schnittverletzung in der Werkstatt oder einen Verkehrsunfall auf dem Weg zur Arbeit handelt – ein Unglück am Arbeitsplatz ist eine ernste Angelegenheit. Viele Betroffene wissen jedoch nicht genau, wie sie in einer solchen Situation richtig reagieren sollen. Das korrekte Vorgehen ist entscheidend, um die bestmögliche medizinische Versorgung zu erhalten und die eigenen Ansprüche gegenüber der gesetzlichen Unfallversicherung zu sichern. Dieser umfassende Leitfaden erläutert, welche Schritte Sie nach einem Arbeitsunfall unternehmen müssen, um Ihre Gesundheit und Ihre Rechte zu schützen.
Die ersten Momente nach einem Arbeitsunfall sind entscheidend. Ihre unmittelbaren Handlungen können nicht nur die Schwere der Verletzung mindern, sondern auch die Basis für alle weiteren Schritte legen.
A. Sichern Sie die Unfallstelle und leisten Sie Erste Hilfe Das Allerwichtigste ist, Ruhe zu bewahren. Sichern Sie die Unfallstelle, um weitere Gefahren abzuwenden, sei es durch das Ausschalten von Maschinen, das Entfernen von Hindernissen oder das Absichern einer gefährlichen Zone. Leisten Sie dem Verletzten, sofern Sie dazu in der Lage sind, Erste Hilfe. Bei schweren Verletzungen rufen Sie sofort den Rettungsdienst unter der Notrufnummer 112 an. Geben Sie eine genaue Beschreibung der Situation und der Verletzungen durch.
B. Informieren Sie Ihren Vorgesetzten Egal, wie klein die Verletzung auf den ersten Blick erscheinen mag, Sie sind verpflichtet, den Unfall unverzüglich Ihrem Vorgesetzten oder dem Betriebsarzt zu melden. Eine einfache Schramme kann sich später entzünden oder zu einem chronischen Leiden entwickeln. Ohne eine sofortige Meldung kann es schwierig werden, den Vorfall nachträglich als Arbeitsunfall anerkennen zu lassen. Informieren Sie auch Ihren Sicherheitsbeauftragten oder den Betriebsrat.
C. Das Führen des Verbandbuchs In jedem Unternehmen muss ein sogenanntes „Verbandbuch“ oder „Unfallbuch“ geführt werden. Darin werden alle Arbeitsunfälle und Erste-Hilfe-Leistungen dokumentiert, auch die kleinsten Verletzungen. Das Verbandbuch dient als offizieller Nachweis des Unfalls und ist für die spätere Anerkennung durch die Unfallversicherung unerlässlich. Es enthält Datum, Uhrzeit, Ort des Unfalls, die Art der Verletzung sowie die Namen der Beteiligten und der Ersthelfer.
Dies ist der wichtigste und oft missverstandene Schritt in Deutschland. Nach einem Arbeitsunfall ist der Gang zu einem bestimmten Arzt, dem sogenannten Durchgangsarzt (D-Arzt), zwingend vorgeschrieben.
A. Was ist ein Durchgangsarzt? Ein Durchgangsarzt ist ein Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie mit einer speziellen Zulassung von den Berufsgenossenschaften. Er ist auf die Behandlung von Unfallverletzungen spezialisiert. Normale Hausärzte dürfen einen Arbeitsunfall nicht abschließend behandeln. Sie können lediglich die Erstversorgung übernehmen und müssen den Patienten dann an einen D-Arzt überweisen.
B. Warum ist der Gang zum D-Arzt so wichtig? Die Behandlung durch einen D-Arzt ist entscheidend für die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall. Der D-Arzt erstellt einen Bericht, der direkt an die zuständige Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse übermittelt wird. Dieser Bericht ist die Grundlage für alle weiteren Leistungsansprüche, wie die Kostenübernahme für Behandlungen, Rehabilitationsmaßnahmen oder Verletztengeld. Ohne diesen Bericht kann die Berufsgenossenschaft die Behandlung als nicht-berufsbedingte Verletzung einstufen, wodurch Sie die Leistungen verlieren.
C. Ablauf des Arztbesuchs Beim Besuch des D-Arztes sollten Sie alle wichtigen Informationen parat haben:
Persönliche Daten: Name, Anschrift, Geburtsdatum
Arbeitgeber: Name und Adresse des Unternehmens
Informationen zum Unfall: Genaue Beschreibung des Hergangs, Datum, Uhrzeit und Ort
Zeugen: Namen und Kontaktdaten von anwesenden Kollegen
Der D-Arzt entscheidet über die notwendigen Behandlungen und schreibt Sie bei Bedarf krank. Sie erhalten von ihm eine "Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung" (AU), die den Code „AU-Bescheinigung für die Berufsgenossenschaft“ trägt.
Nachdem der D-Arzt den Unfall dokumentiert hat, ist Ihr Arbeitgeber am Zug. Er ist gesetzlich dazu verpflichtet, eine offizielle Unfallanzeige zu erstatten.
A. Die Meldeschwelle Der Arbeitgeber muss einen Arbeitsunfall bei der zuständigen Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse melden, wenn der Arbeitnehmer länger als drei Tage arbeitsunfähig ist. Unfälle mit tödlichem Ausgang oder Massenunfälle müssen sofort gemeldet werden. Auch bei einer kürzeren Krankschreibung ist eine interne Meldung ins Verbandbuch aber Pflicht.
B. Inhalt der Unfallanzeige Die Unfallanzeige ist ein detailliertes Formular, das alle wichtigen Informationen zum Unfall erfasst:
Persönliche Daten des Verletzten
Daten des Arbeitgebers
Ort, Tag und Zeitpunkt des Unfalls
Genaue Schilderung des Unfallhergangs (Was wurde getan? Wie kam es zum Unfall?)
Art und Schwere der Verletzung
Namen von Zeugen
Angaben zum D-Arzt
Diese Anzeige ist die rechtliche Grundlage für die Anerkennung des Arbeitsunfalls durch die Versicherung. Es ist daher im eigenen Interesse, den Arbeitgeber dabei zu unterstützen, korrekte und vollständige Angaben zu machen.
Ein großer Vorteil der gesetzlichen Unfallversicherung ist, dass Sie im Falle eines Arbeitsunfalls Anspruch auf umfassende Leistungen haben, ohne selbst Beiträge leisten zu müssen. Die Kosten werden von den Arbeitgebern getragen.
A. Heilbehandlung und Rehabilitation Die Berufsgenossenschaften übernehmen die vollen Kosten für die Heilbehandlung, die vom D-Arzt verschrieben wird. Dazu gehören Arztbesuche, Medikamente, Therapien (Physiotherapie, Ergotherapie), Hilfsmittel (Rollstühle, Prothesen) und sogar die Kosten für eine stationäre oder ambulante Rehabilitation in speziellen Kliniken. Ziel ist es, Ihre Gesundheit so weit wie möglich wiederherzustellen.
B. Verletztengeld und Rente Sind Sie nach dem Unfall arbeitsunfähig, haben Sie Anspruch auf Verletztengeld. Dieses wird von der Berufsgenossenschaft gezahlt und beträgt in der Regel 80 % Ihres Bruttoeinkommens. Das Verletztengeld wird nach Ablauf der sechswöchigen Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber gezahlt. Sollte der Unfall zu einer dauerhaften Minderung der Erwerbsfähigkeit führen, haben Sie unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf eine Unfallrente.
C. Berufliche Wiedereingliederung Die Berufsgenossenschaft unterstützt Sie auch dabei, wieder in den Beruf zurückzukehren. Dies kann durch Umschulungen, Weiterbildungen oder die Anpassung des Arbeitsplatzes geschehen. Das Ziel ist es, Ihnen eine volle und nachhaltige Rückkehr ins Berufsleben zu ermöglichen.
Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen kann es vorkommen, dass die Berufsgenossenschaft die Anerkennung Ihres Unfalls verweigert, beispielsweise weil sie Zweifel am Zusammenhang zwischen der Verletzung und der beruflichen Tätigkeit hat.
A. Widerspruch einlegen Wenn die Berufsgenossenschaft Ihren Antrag ablehnt, erhalten Sie einen schriftlichen Bescheid. In diesem Fall haben Sie das Recht, innerhalb einer bestimmten Frist Widerspruch einzulegen. Diesen Widerspruch sollten Sie schriftlich einreichen und mit neuen Belegen oder Argumenten untermauern.
B. Professionelle Unterstützung suchen Es ist dringend ratsam, in einem solchen Fall professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ein Fachanwalt für Sozialrecht oder Ihre Gewerkschaft kann Sie beraten und unterstützen. Sie kennen die rechtlichen Feinheiten und können die Chancen auf einen erfolgreichen Widerspruch realistisch einschätzen.
Dokumentieren Sie alles: Fotografieren Sie die Unfallstelle, die Verletzungen und alle beteiligten Geräte. Machen Sie Notizen zum Hergang und schreiben Sie auf, wer zu welchem Zeitpunkt anwesend war.
Sammeln Sie Zeugenaussagen: Notieren Sie sich die Namen und Kontaktdaten von Kollegen oder anderen Personen, die den Unfall beobachtet haben. Ihre Aussagen können entscheidend sein.
Bewahren Sie alle Unterlagen auf: Halten Sie sämtliche ärztliche Atteste, Rezepte, Krankschreibungen und Schreiben der Berufsgenossenschaft in einem separaten Ordner. Jedes Dokument ist ein wichtiger Baustein für Ihren Fall.
Ein Arbeitsunfall ist eine belastende Situation, aber mit dem richtigen Wissen können Sie sicherstellen, dass Ihre Gesundheit und Ihre Rechte geschützt werden. Das wichtigste ist, sofort zu handeln: Melden Sie den Unfall, suchen Sie einen Durchgangsarzt auf und dokumentieren Sie den Vorfall akribisch. Durch die konsequente Einhaltung dieser Schritte schaffen Sie die beste Grundlage für eine erfolgreiche Behandlung und die Sicherung aller Ihnen zustehenden Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung.