In einer Welt, die sich schneller dreht als je zuvor, sind Flexibilität und Anpassungsfähigkeit keine bloßen Schlagworte mehr, sondern entscheidende Erfolgsfaktoren. Unternehmen stehen vor der Herausforderung, auf dynamische Märkte, komplexe Kundenanforderungen und unvorhersehbare Veränderungen schnell reagieren zu können. Das traditionelle, starre Management nach dem Wasserfallprinzip stößt hierbei zunehmend an seine Grenzen.
Hier kommt das agile Arbeiten ins Spiel. Agilität ist mehr als nur eine Methode – sie ist eine Haltung, eine Philosophie, die das Arbeiten neu definiert. Statt langer Planungsphasen, die oft überholt sind, bevor das Projekt beginnt, setzen agile Teams auf iterative, kurze Zyklen, enge Zusammenarbeit und kontinuierliche Verbesserung. Das Fundament dieser Philosophie wurde 2001 mit dem Agilen Manifest gelegt, das vier Grundwerte und zwölf Prinzipien definiert. Im Kern geht es darum, Menschen und Interaktionen über Prozesse und Werkzeuge zu stellen, funktionierende Software über umfassende Dokumentation und die Zusammenarbeit mit dem Kunden über die Verhandlung von Verträgen.
Zwei agile Methoden haben sich als die prominentesten Vertreter dieser neuen Arbeitswelt etabliert: Scrum und Kanban. Beide zielen darauf ab, die Effizienz zu steigern und einen Mehrwert für den Kunden zu schaffen, verfolgen dabei aber unterschiedliche Ansätze. Dieser Artikel beleuchtet, was hinter diesen beiden Frameworks steckt und wie sie sich voneinander unterscheiden.
Bevor wir in die Details von Scrum und Kanban eintauchen, ist es wichtig, die gemeinsamen Wurzeln zu verstehen. Beide Methoden basieren auf den Grundpfeilern des agilen Denkens:
Empirische Prozesskontrolle: Das Vorgehen wird nicht im Voraus detailliert geplant, sondern ist flexibel und ergebnisorientiert. Entscheidungen basieren auf Erfahrungen, Beobachtungen und Fakten und nicht auf Annahmen.
Iterative Entwicklung: Projekte werden in kleine, überschaubare Zyklen (Iterationen) unterteilt. Jede Iteration liefert ein funktionsfähiges Ergebnis, das dem Kunden frühzeitig zur Verfügung gestellt wird. Das ermöglicht es, schnell Feedback zu erhalten und das Produkt kontinuierlich zu verbessern.
Scrum ist ein Framework, das Teams dabei hilft, komplexe Produkte zu entwickeln. Es ist ein festes Regelwerk mit klar definierten Rollen, Meetings und Artefakten. Der gesamte Prozess ist in kurze, feste Zeitintervalle, sogenannte Sprints(meist 1 bis 4 Wochen), unterteilt.
Das gesamte Framework ruht auf drei Pfeilern, die für ein erfolgreiches Vorgehen unerlässlich sind:
Transparenz: Alle relevanten Informationen, von den Anforderungen bis zum Fortschritt, müssen für alle Teammitglieder und Stakeholder klar und verständlich sein.
Überprüfung (Inspection): In regelmäßigen Abständen werden die Ergebnisse und der Fortschritt überprüft, um Abweichungen vom gewünschten Zustand frühzeitig zu erkennen.
Anpassung (Adaptation): Wenn eine Abweichung festgestellt wird, muss das Team in der Lage sein, den Prozess oder das Produkt entsprechend anzupassen.
Scrum definiert ein Team, das sich selbst organisiert, aber dennoch klare Verantwortlichkeiten hat:
Product Owner: Die „Stimme des Kunden“. Er ist verantwortlich für das, was entwickelt wird. Er verwaltet das Product Backlog (eine Liste aller Anforderungen) und priorisiert die Aufgaben, um den maximalen Geschäftswert zu schaffen.
Scrum Master: Der „Prozess-Coach“. Er ist dafür verantwortlich, dass das Scrum-Framework verstanden und korrekt angewendet wird. Er beseitigt Hindernisse (Impediments) und sorgt dafür, dass das Team effizient arbeiten kann.
Development Team: Eine Gruppe von Fachleuten (Entwickler, Designer etc.), die für die Umsetzung der Anforderungen zuständig ist. Sie organisieren sich selbst und sind für die Qualität des Produkts verantwortlich.
Scrum-Teams folgen einem festen Rhythmus von Meetings, die den Sprint strukturieren:
Sprint Planning: Zu Beginn jedes Sprints wählt das Team gemeinsam aus dem Product Backlog die Aufgaben aus, die im aktuellen Sprint umgesetzt werden sollen.
Daily Scrum: Ein kurzes, tägliches 15-Minuten-Meeting, bei dem sich das Entwicklungsteam über den Fortschritt austauscht und Hindernisse bespricht.
Sprint Review: Am Ende des Sprints präsentiert das Team das fertige Produktinkrement den Stakeholdern und sammelt Feedback.
Sprint Retrospective: Nach dem Review reflektiert das gesamte Scrum-Team über den vergangenen Sprint. Was lief gut? Was kann verbessert werden? Es ist ein Meeting für die kontinuierliche Verbesserung des Prozesses.
Der Sprint: Das übergeordnete Zeitfenster, das alle anderen Meetings umfasst und in dem die eigentliche Arbeit stattfindet.
Kanban ist, im Gegensatz zu Scrum, kein Framework mit festen Regeln, sondern eine Methode zur Steuerung von Arbeitsprozessen. Der Begriff stammt ursprünglich aus der japanischen Automobilindustrie (Toyota) und bedeutet so viel wie „visuelle Karte“ oder „Signal“.
Kanban ist flexibel und lässt sich nahtlos in bestehende Prozesse integrieren:
Beginne mit dem, was du tust: Kanban erfordert keine radikale Änderung der bestehenden Prozesse. Es wird dort angesetzt, wo das Team aktuell steht.
Strebe nach inkrementellen, evolutionären Veränderungen: Statt revolutionärer Umwälzungen werden kleine, schrittweise Verbesserungen vorgenommen.
Respektiere die aktuellen Rollen, Verantwortlichkeiten und Titel: Es werden keine neuen, festen Rollen eingeführt. Das Team arbeitet weiter in den bestehenden Strukturen.
Fördere Führung auf allen Ebenen: Jedes Teammitglied wird ermutigt, sich aktiv an der Verbesserung des Prozesses zu beteiligen.
Kanban basiert auf sechs Schlüsselpraktiken, die den Arbeitsfluss optimieren:
Visualisiere den Arbeitsfluss: Das Kernstück ist das Kanban Board, das den gesamten Workflow visuell darstellt. Jede Aufgabe ist eine Karte, die von einer Spalte (z. B. "To Do") zur nächsten (z. B. "In Progress", "Done") wandert.
Limitiere die laufende Arbeit (WIP - Work In Progress): Jede Spalte auf dem Board hat ein Limit, das die maximale Anzahl an Aufgaben festlegt, an denen gleichzeitig gearbeitet werden kann. Dies verhindert Überlastung und erhöht die Effizienz.
Managen und optimieren Sie den Fluss: Das Ziel ist, dass Aufgaben so reibungslos wie möglich durch das System fließen. Engpässe und Blockaden werden sofort sichtbar.
Mache Prozessregeln explizit: Regeln für den Workflow (z. B. „Was bedeutet fertig?“) müssen für alle klar und transparent sein.
Führe Feedback-Schleifen ein: Regelmäßige Treffen (z. B. das Daily Standup) dienen dazu, den Fortschritt zu überprüfen und den Workflow kontinuierlich zu verbessern.
Verbessere kollaborativ und experimentiere: Das Team identifiziert gemeinsam Möglichkeiten zur Verbesserung und testet diese in kleinen Schritten.
Obwohl beide Methoden agil sind, gibt es fundamentale Unterschiede, die ihre Anwendung maßgeblich beeinflussen:
Die Entscheidung zwischen Scrum und Kanban hängt stark von der Natur des Projekts und den Bedürfnissen des Teams ab.
Scrum eignet sich ideal für Projekte, die eine hohe Planbarkeit in kurzen Zyklen erfordern und bei denen das Team sich auf feste Ziele konzentrieren kann. Es ist ideal für die Entwicklung komplexer neuer Produkte. Die festen Rollen und Rituale geben dem Team eine klare Struktur und einen starken Rhythmus.
Kanban hingegen ist perfekt für Teams, deren Arbeit durch unvorhersehbare, kontinuierlich eintreffende Aufgaben geprägt ist. Beispiele hierfür sind der Kundensupport, die Systemwartung oder die Arbeit in Marketingteams. Kanban ermöglicht es, schnell auf neue Prioritäten zu reagieren, ohne den gesamten Prozess zu stören. Die WIP-Limits sorgen dafür, dass das Team nicht überfordert wird und der Fokus auf die Fertigstellung der laufenden Aufgaben gelegt wird.
Oftmals ist die Praxis eine Kombination beider Ansätze: Scrumban vereint die feste Struktur von Sprints aus Scrum mit den visuellen und flussoptimierenden Praktiken von Kanban.
Egal für welche Methode man sich entscheidet, das Ziel bleibt dasselbe: die kontinuierliche Verbesserung der Arbeit, die Steigerung der Produktivität und die Lieferung eines maximalen Werts für den Kunden. Agilität ist keine einmalige Entscheidung, sondern eine Reise, auf der das Team ständig lernt und wächst.